Schmerzhaft: Wenn die Kniescheibe verrutscht …

Normalerweise beachten wir sie kaum: Unsere Kniescheibe, fachlich Patella genannt. Doch ihre Bedeutung für ein reibungsloses Funktionieren unserer Knie ist groß. Daher sind Beschwerden in dem Bereich immer ernst zu nehmen. Die Patella kann für zahlreiche Störungen verantwortlich sein. Zu den schwerwiegenden Problemen zählt eine sogenannte instabile Kniescheibe: Dann besteht die Gefahr, dass sie „herausspringt“. Dieses schmerzhafte Geschehen wird Kniescheibenverrenkung genannt. Der medizinische Ausdruck ist Patellaluxation. 

In der Regel wird die Kniescheibe von dem umliegenden Bandapparat (hier nicht dargestellt) und einer Gleitrinne auf dem Oberschenkelknochen stabilisiert. Zahlreiche Ursachen können dieses Konstrukt stören: Dann ist das Risiko hoch, dass die Patella verrutscht. In einem solchen Fall „springt“ sie fast immer nach außen, innenliegende Bänder werden dabei verletzt.

Unsere Kniescheibe ist ein sogenanntes Sesambein, das größte in unserem Körper: ein in Sehnengewebe eingebetteter Knochen. Die Patella liegt in der Sehne der großen Oberschenkelmuskulatur, der Quadrizepssehne. Hier setzt auch die Patellasehne an, die zum Schienenbein nach unten zieht. Dank dieser Konstruktion erleichtert die Kniescheibe die Kraftübertragung von der Oberschenkelmuskulatur auf den Unterschenkel. Ohne die Patella könnten wir unsere Knie nicht so unbeschwert beugen und strecken, zudem wären die Kniegelenke dabei auch weitaus stärker belastet. Außerdem fungiert der flache Knochen als Schutzschild für das Gelenk, wenn wir knien oder etwa auch bei einem Sturz. Innen ist die Patella mit einer 6–8 Millimeter dicken Knorpelschicht ausgestattet, die wie ein Stoßdämpfer Druck von außen abpuffert.

Normalerweise halten Muskeln und Sehnen die bewegliche Kniescheibe mittig vor dem Gelenk. Gleichzeitig wird sie durch eine Gleitrinne am Oberschenkelknochen stabilisiert: Die Rückseite der Patella ist geformt wie eine Art Keil, der beim Beugen und Strecken des Gelenks durch diese Führungsrinne gleitet. Verschiedene Ursachen können aber das Zusammenspiel von Bändern und Gleitlager stören. Häufige Folge: die Kniescheibe „verrutscht“. Betroffen sind vor allem Jugendliche, in der Mehrzahl Mädchen. Bei ihnen tritt eine erste Patellaverrenkung typischerweise im Alter von 14-16 Jahren auf. Dann ist das Risiko immer groß, dass so ein Ereignis wieder passiert: nach vier Wochen oder auch fünf Jahre später.

Die meisten Risikofaktoren werden vererbt

Es gibt verschiedene Faktoren, die eine Patellaluxation begünstigen – die meisten sind genetisch bedingt:
• Eine zu flache Gleitrinne, bei der die Seitenwände nicht hoch genug sind, um den Keil der Patella in der Führungsrinne zu halten.
• Eine zu hochstehende Kniescheibe oder eine sehr kleine und fehlgeformte Patella, auch „Jägerhut“ Patella genannt
• X-Beine
• Eine generelle Bandlockerheit
• Eine Überstreckbarkeit des Knies
• Eine schwach ausgebildete Oberschenkelmuskulatur, was bei jungen Menschen häufig vorkommt unmittelbar während und am Ende der Wachstumsphase.

Auslöser einer Kniescheibenverrenkung sind dann in der Regel normale Alltagsaktivitäten: Rennen auf dem Schulhof, Breakdance-Unterricht, Gassi gehen mit dem Hund. Bei manchen Frauen geschieht es etwa auf dem Bahnhof mit schwerem Gepäck: Plötzlich springt die Kniescheibe raus. Fast immer verrutscht sie dann nach außen: dabei reißt fast immer auch das innere Kapselband. Den Betroffenen knickt das Bein weg. Sie haben oft höllische Schmerzen.

Vorsicht: Nur ein Arzt darf die Kniescheibe wieder einrenken. Laien sollten das auf keinen Fall versuchen, die Gefahr von weiteren Verletzungen ist enorm groß. Erste Hilfe ist wichtig: Anwenden der PECH-Regel (Infos hier im Blog). Also ruhigstellen, kühlen, hochlegen. Gleichzeitig sollte die verletzte Person so schnell wie möglich zu einem Arzt gebracht werden. Auch dann, wenn die Kniescheibe von alleine wieder in ihre Ursprungslage gerutscht sein sollte: umliegende Strukturen können dabei verletzt worden sein.

Analyse einer Patellaluxation extrem aufwendig und schwierig

Die erste Maßnahme des Docs in der Praxis oder Klinik ist: Er renkt die Kniescheibe wieder ein, häufig unter einer sogenannten Kurz-Narkose. Anschließend prüft er mittels bildgebender Verfahren, welche Schäden durch die Luxation möglicherweise entstanden sind: Dazu gehören immer Röntgenaufnahmen und eine Magnetresonanztomografie (MRT), manchmal zusätzlich noch eine Computertomografie (CT). Die Bilder zeigen dabei auch, welche der schon genannten Faktoren zur Instabilität der Kniescheibe beigetragen haben, etwa eine Fehlbildung der Kniescheibe oder eine schlecht ausgeprägte Gleitrinne. Diese Analyse ist aufwendig und deutlich schwieriger als etwa die Diagnostik von Verletzungen des Kreuzbandes oder Meniskus. Anhand aller Befunde wird schließlich ein Risikoprofil erstellt: Es gibt Auskunft darüber, ob ein chirurgischer Eingriff sofort notwendig ist oder später – und was dann operiert werden sollte.

Sind bei der Patellaluxation freie Gelenkkörper entstanden, das sind Absplitterungen von Knorpel oder Knochen, muss man sofort notfallmäßig operieren. Ansonsten wird versucht, eine erstmalige Patellaverrenkung konservativ zu therapieren. So kann auch ein gerissenes Innenband wieder vernarben. Zu den Maßnahmen gehören unter anderem eine Orthese, eine orthopädische Stütze, zur Stabilisierung und Ruhigstellung der Kniescheibe, abschwellende Medikamente und Physiotherapie. 

Nach einer zweiten Kniescheibenverrenkung muss meist operiert werden

Kommt es dann jedoch zu einer zweiten Verrenkung der Patella, muss in der Regel operiert werden. Denn eine anhaltende Instabilität der Kniescheibe ist offenbar. Dazu ist die Gefahr von weiteren nachfolgenden Patellaverrenkungen beträchtlich gestiegen, weil jede Luxation die Haltestrukturen der Kniescheibe weiter schwächt.

Die gute Nachricht dabei ist: Mit einer mittlerweile sehr gut etablierten minimalinvasiven Stabilisierungsoperation, lassen sich 90 Prozent der Faktoren, die zu einer Verrenkung geführt haben, beheben: dabei wird das gerissene Haupthalteband der Patella, das mediale patellofemorale Ligament (MPFL) durch eine andere Sehne ersetzt. Ein erneutes Herausrutschen der Kniescheibe wird damit gestoppt. In einem meiner nächsten Blogs erkläre ich, was genau bei dem Einsetzen der MPFL-Plastik geschieht und worauf es dabei ankommt.

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